Fisch und Muschelvergiftung

Erstellt: Tox-Mü-Kleber J.J. 1996

DIFFERENTIALDIAGNOSE EINZELNER FISCHVERGIFTUNGEN
--Typische Fisch und Muschelvergiftungen zeigen außer den
  gastrointestinalen Symptomen noch neurologische Ausfälle,
  wie  Sensibilitätsstörungen oder Lähmungen.
-AUSNAHME mit nur GIT-Symptomen: gastrointestinale Form
  der Schellfisch- u. Muschelvergiftung und Scombrotoxismus
--DIFF.-DIAGNOSE der unterschiedlichen Formen der Fisch-
  vergiftungen erfolgt nach Anamnese, Klinik und örtlichem
  Vorkommen; Toxinnachweise sind für wissenschaftliche
  Fragen im Fisch- oder Muschelgewebe oder -Sud möglich.(1)
Immer ist auch an normale bakterielle Infektionen zu denken siehe  LEBENSMITTEL ALLGEMEIN

SCOMBROTOXIN
--Vorkommen:  verdorbener Fisch (vor allem Tunfisch, Makre-
  le, Anchovies, Sardine), in BRD meist als Konservenfisch,
  in dem bakterielle Zersetzung Histamin entstehen ließ
--Inkubation: wenige Minuten bis 1h, selten mehr
--Symptome: Flush, Kopfschmerz, Schwindel, Übelkeit,
  Erbrechen, Bauchweh, Durchfall; selten Bronchospasmus,
  Rötung des ganzen Körpers, Uriticaria; ohne Behandlung in
  seltenen Fällen Schock und Exitus möglich.
--Therapie: Antihistaminika wie z.B. Diphenhydramin, Prome-
  tazin (Atosil), aber auch Cimetidin helfen gut und schnell

SCHELLFISCH UND MUSCHELVERGIFTUNG
Intoxikationen meist zeitlich und örtlich begrenzt abhängig von giftigen Planktonarten (Algenblüte).
-- GASTROINTESTINALE FORM: Okadasäuren (Dinophysistoxin)(4)
   Küsten von Europa, Japan und Chile(1)
   - INKUBATION: ca. 0,5-2-(12h); Erhohlung in 2-3d (1,4)
   - GIT: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöe; Bauchschmerz (1)
-- PARALYTISCHE FORM: Saxitoxin, Gonyautoxin; weltweit
   berichtet von kalten bis subtropischen Zonen(1)
   - INKUBATION: 0,5-3-(8)h (1,3)
   - GIT: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöe; Bauchschmerz (1)
   - ZNS: Parästhesien Mund + Zunge dann Schwindel, dann
     Parästhesien generalisiert; Ataxie, Muskelschwäche,
     Doppelbilder, Sprach- Schluckstörung, Atemlähmung in
     2-12h bei schweren Fällen; Muskelschwäche kann Wochen
     persistieren, in leichten Fällen 2-3d (1,4)
-- NEUROTOXISCHE FORM: hitzestabile Breve-Toxine(4)
   auch inhalatorisch bei durch Gischt von zerstäubten Algen
   bisher bekannt Golf von Mexiko, Ostküste Floridas (1)
   - INKUBATION: Min.-3h, einzelne Symptome bis 48h(1)
   - GIT: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöe; Bauchschmerz (1)
   - ZNS: orale Parästhesien ausbreitend auf Pharynx und
     Körper, Schwindel, Ataxie, Muskelschwäche aber nicht
     bis Lähmung, Mydriase, Myalgien; evtl. paradoxe
     Temperaturempfindung(1,4)
   - SONST: bei Toxininhalation: Naselaufen, Husten, Kon-
     junktivitis, Asthmaanfälle bei Asthmatikern (1,4)
-- AMNESTISCHE ZENTRALNERVÖSE FORM:  Domosäure
   bisher bekannt Ostküste Kanadas (1)
   - INKUBATION: ca. 0,2-38h (1,4)
   - GIT: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöe; Bauchschmerz (1)
   - ZNS: schwere Kopfschmerzen, Gedächtnisverlust, Verwir-
     rung, Krampfanfälle, Koma, Atemdepression, Mutismus
     teilweise bleibende anterograde Amnesie und sensomoto-
     rische Neuropathie (1,4)
   - COR: Arrhythmien, Blutdruckschwankungen(1)

TETRODOTOXIN
--Vorkommen: Japan Kugelfisch oder Fugu, außerdem selten in
  Muscheln, Krabben, Schnecken (4)
--Tox.: Tetrodotoxin LD50(Maus): oral 330�g/kg,iv.10�g/kg(4)
  blockiert selektiv den Na-Kanal erregbarer Membranen
--Inkubation: schon nach 10 Min. Erbrechen
--Symptome: schnell Pezigkeit und Parästhesien perioral mit
  oder ohne Magen-Darmsymptome, dann Ausbreitung der Pel-
  zigkeit und Beginn der Lähmung in 10-60 Min.; später
  Paralyse mit Atemlähmung, Hypotonie, Rhythmusstörungen.
--Therapie: kein spez. Antidot, somit rein symptomatische
  Therapie; wegen hoher Toxizität auch späte Kohlegabe über
  Magensonde noch sinnvoll, oder frühzeitig Magenspülung
  evtl. in Intubation bei schon beginnender Lähmung.

CIGUATOXIN
--Vorkommen: Fisch des tropischen Pazifik, Hawai, Florida
--Symptome: nach 3-5 h Übelkeit, Erbrechen, wässrige Diar-
  rhoe, Bauchschmerzen für 8-18h anhaltend
  dann nach 12-24 h Parästhesien zunächst perioral, später
  an Extremitäten; typisch ist paradoxe Temperatur-Wahrneh-
  mung mit Kribbeln, Elektrisieren und brennendes Gefühl bei   Kältereiz; außerdem Muskelschwäche
--Therapie: siehe Ciguatoxin

CULPEOTOXISMUS
  - GIT: Übelkeit, Erbrechen, Diarrhöe; Bauchschmerz (1,4)
  - ZNS: Mydriasis, Kribbelgefühl, Muskelkrämpfe, Lähmung;
  - COR: Arrhythmie, Hypotonie(1)

VENERUPIN ODER ASARI VERGIFTUNG
  Kopfweh, GIT-Probleme, Nervosität, dann Leberversagen(4)

CALLISTIN VERGIFTUNG
1h nach Ingestion cholinerge Krise mit Speichel-u. Schweiß-
fluß, Übelkeit, Erbrechen, Bronchospasmus, Bronchorrhö,
Bradykardie; zusätzlich Flush, Pelzigkeit, Lähmung
--Therapie: Atropin, darunter langsam Symptomabklingen(4)

THERAPIE ALLGEMEIN BEI OBIGEN FISCHVERGIFTUNGEN
--PRIMÄRE GIFTENTFERNUNG: meist außer Kohlegabe nichts mehr
  möglich, da Pat. erst nach Giftresorption (Symptome) in
  Klinik kommt.
--ALLGEMEINE THERAPIE: Rehydratation, evtl. Beatmen keine
  spezielle Therapie bekannt für jede der Fischvergiftungen
  ausgenommen evtl. Ciguatoxin(4)
--ANTIDOTE: im Tierversuch Antisaxitoxin-Antikörper gegen
  paralytische Form und Kynurensäure gegen Domosäure beim
  Mensch nicht erprobt (4)
--SEKUNDÄRE GIFTENTFERNUNG
  HD bei Schellfischvergiftung bei einem Pat. evtl. erfolg-
  reich, und HP im Tierversuch (4)

TOXINE
meist organ. Gifte von einzelligen Algen (Dinoflagellaten + Kieselalgen), die bei starker Algenvermehrung in der Muschel oder im Fischfleisch gespeichert werden, wie in Meeresschnecken (vor allem pazifischer Raum + Japan), Krabben + Krebstieren (pazifischer + indopaz. Raum) (1)
--bekannte Toxine bei Schellfischvergiftung:
  - Saxitoxin und Gonyautoxin paralytische Form binden an
    Na- Kanäle erregbarer Membranen(1)
  - die Alge Gymnodium breve produziert 2 hitze- und säure-
    stabile, alkalilabile Breve-Toxine (4), sie halten
    h-gate der Na-Kanäle offen (4)
  - die Algengattung Dinophsis sp. produziert Okadasäuren
    (Dinophysistoxin)(4) + Pectenotoxin + Yessetoxin (1)
  - Nitschia pungens + andere Nitschia sp. produzieren Domo-
    säure, die Ähnlichkeit hat mit Glutaminsäure und stark
    depolarisierend wirkt auf die Vorderwurzelzellen des
    Rückenmarkes(4)

SYNONYME
Muschelvergiftung; Schneckenvergiftung;  Domosäure; Domoic acid; Nitschia pungens; Meeresschneckenvergiftung; Krebsvergiftung; Krabbenvergiftung; Meerestiervergiftung; shellfishpoisoning; Fischvergiftung; Saxitoxin; Gonyautoxin; diarrethic shellfish poisoning; Breve-Toxin; Okadasäure; Dinophysistoxin; Culpeotoxismus; Venerupin; Callistin Vergiftung; Callista brevisiphonata; Schellfischvergiftung; Pufferfisch; Kugelfischvergiftung; Fuguvergiftung; Tetrodotoxin; Scombrotoxin; Skombrotoxin; Thunfisch; Makrele; Anchovis; Sardine; Sardelle

GRUPPENZUGEHÖRIGKEIT
Lebensmittel; Tiere giftige; Differentialdiagnosen

LITERATUR

1. Junghans Th.; Bodio M: Notfall-Handbuch der Gifttiere


  Georg Thiemeverlag Stuttgart 1996


3. Anthony T Marine toxins and venoms


  Marcel Decker 1988


4. Meier J.; White J.: Handbook of clinical toxicology of


  animal venoms and poisons


  CRC Press 1995